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Die Volkszählung 1987

Dem Zehnjahresrhythmus folgend, sollte in der Bundesrepublik Deutschland nach 1961 und 1970 die nächste Volkszählung eigentlich 1981 stattfinden. Wegen Unklarheiten hinsichtlich der Finanzierung kam es zu Verzögerungen, bis schließlich der 27. April 1983 als Termin festgesetzt wurde. Doch auch zu dieser Volkszählung sollte es nicht kommen. Während die früheren Volkszählungen relativ reibungslos verliefen, war die Volkszählung 1987 Gegenstand heftiger, kontroverser Diskussionen.

Das politische Umfeld der 80er Jahre

Die 1980er Jahre waren von gesellschaftspolitischen Veränderungen und neuen sozialen Bewegungen geprägt. Politische Entscheidungen wie der NATO-Doppelbeschluss oder Großprojekte wie die „Startbahn West“ des Frankfurter Flughafens lösten vielfach Massendemonstrationen aus. Auch die Volkszählung war umstritten und vielerorts von Protesten begleitet. Vor allem in den großen Städten formierte sich eine Boykottbewegung. Nie zuvor war über die amtliche Statistik so kontrovers diskutiert worden. In den Augen der Gegner handelte es sich bei der Volkszählung um eine „Totalerfassung“, generell herrschte bei großen Teilen der Bevölkerung die Furcht vor einem „Überwachungsstaat“ vor. Die neuen, vielfach noch unbekannten Möglichkeiten der elektronischen Datenverarbeitung verstärkten diese Ängste, sodass große Teile der Bevölkerung verunsichert waren.

Das Volkszählungsurteil 1983

Am 13. April 1983 setzte das Bundesverfassungsgericht durch einstweilige Anordnung die geplante Volkszählung aus. Über 1 200 Einwohnerinnen und Einwohner hatten das Gericht zur Entscheidung angerufen. Am 15. Dezember 1983 verkündete das Gericht dann sein Urteil:
Einerseits präzisierte das Gericht ein Grundrecht auf „informationelle Selbstbestimmung“ und sah dieses in der Tat durch die Ausgestaltung des ihm vorliegenden Gesetzes verletzt. Andererseits bejahten die Richter eindeutig das Recht und die Pflicht des Staates zur Datensammlung, wie sie durch eine Volkszählung ermöglicht wird.

Die Auswirkungen des Urteils von 1983 wurden zwischen Bund, Ländern, Gemeinden, statistischen Ämtern, der Wissenschaft, den Datenschutzbeauftragten und den parlamentarischen Gremien ausführlich diskutiert und beraten, um den Anforderungen im vollen Umfang Rechnung zu tragen.

Die Volkszählung 1987

Die Volkszählung fand schließlich zum Stichtag 25. Mai 1987 statt. „Zehn Minuten, die allen helfen“ – mit diesem Slogan wurde in einer bundesweiten Informationskampagne vom Staat für die Volkszählung geworben, was in diesem Umfang für den öffentlichen Bereich ein Novum war. Die Sensibilisierung der Einwohnerinnen und Einwohner gegenüber staatlichen Aktivitäten, das gesteigerte Informationsbedürfnis und das ausgeprägte demokratische Bewusstsein kennzeichneten die Jahre um die Volkszählung 1987.

Boykottgruppen und Bürgerinitiativen riefen zu Anti-Volkszählungs-Aktivitäten auf. „Hiermit wird öffentlich bekanntgegeben, dass ab sofort alle Herrschenden vollständig erfasst und ihre Tage gezählt werden. Das Volk“. „Volkszählung? Boykott“, „Datenmissbrauch ist nur zu verhindern, wenn die Daten gar nicht erst gesammelt werden!“ oder „10 Minuten, die Sie noch bereuen werden“ – so lauteten einige der Parolen der Volkszählungsgegner. Sie warfen den Initiatoren der Volkszählung vor, sie förderten technokratische Politik, und setzten ihre Forderung nach mehr demokratischer Mitgestaltung durch die Bürger dagegen. Statt „gläsernen Bürgern“ forderten sie den „gläsernen Staat“.

Auf beiden Seiten wurde aber auch phantasievoll agiert: In der Nacht vor dem Bundesligaspiel Borussia Dortmund gegen den Hamburger SV hatten Unbekannte mit weißer Farbe „Boykottiert und sabotiert die Volkszählung“ auf den Rasen geschrieben. Die Farbe widersetzte sich allen Reinigungsversuchungen. Um eine Spielabsage durch den DFB zu verhindern, wurde der Text – mit der Zustimmung des damaligen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker – um drei Worte erweitert: „Der Bundespräsident: Boykottiert und sabotiert die Volkszählung nicht.“ So konnte das Spiel stattfinden.

Parallel zur politischen Diskussion liefen die Vorbereitungen für die Volkszählung 1987 auf vollen Touren: Am 25. Mai 1987 gab es etwa 6 000 Erhebungsstellen, etwa 600 000 Interviewerinnen und Interviewer schwärmten aus, um die geschätzten 60 Millionen Einwohnerinnen und Einwohner zu befragen.

Jeder Haushalt erhielt im Rahmen der Volks-, Berufs-, Gebäude-, Wohnungs- und Arbeitsstättenzählung 1987 (so der komplette Name) in der Form eines Haushaltsheftes einen Wohnungsbogen sowie Personenbogen, zusammen mit einem Haushaltsmantelbogen. Im Haushaltsmantelbogen wurden für die organisatorische Durchführung der Zählung sogenannte Hilfsmerkmale eingetragen. Die Volks- und Berufszählung enthielt 18 Fragen für die Bevölkerung, die Gebäude- und Wohnungszählung 11 Fragen für jede Wohnung und 4 Fragen für jedes Gebäude.

Nach 18 Monaten lagen – wie geplant – die Ergebnisse der Volkszählung vor. Insgesamt zählte die Bundesrepublik zum Stichtag 1987 61,2 Millionen Einwohnerinnen und Einwohner. Die Ergebnisse der Volkszählung 1987 wichen erheblich von den Erwartungen ab. Die Einwohnerzahlen der Gemeinden mussten teilweise stark nach unten oder nach oben berichtigt werden. Dadurch veränderte sich auch die Grundlage der Ausgleichszahlungen zwischen Ländern und Kommunen – die Summe der notwendigen Korrekturen überstieg fast die Zwei-Milliarden-DM-Grenze. Auch die Gebäude- und Wohnungszählung legte eine Schieflage zwischen Fortschreibung und der Realität offen: Bundesweit gab es eine Million Wohnungen weniger als erwartet. So viele Wohnungen zählte damals ganz Schleswig-Holstein.

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